„Von Männern geleitete Frauenkirche“?
Lange dürfte es her sein, dass bei einer theologisch/kirchlichen Veranstaltung im Pfarrheim Heilig Kreuz die Teilnehmer hinten auf Tischen saßen oder standen. Fast 200 Gäste waren der Einladung der drei ND-Gruppen aus Heilig Kreuz Dülmen gefolgt. Die hatten zwei der Verfasserinnen des Memorandums, Prof. Judith Könemann und Prof. Saskia Wendel eingeladen, Auskunft zu geben, warum sie sich mit der kirchlichen Hierarchie anlegten.
Nun bieten Pfarrsäle weder atmosphärisches Flair noch ein akademisches Ambiente, wie etwa ein modernes Bildungshaus. Es haperte an Sauerstoff und an ausgefeilter Technik.
Doch Reduktion hat auch seine Vorteile, wenn es keine Powerpointfolien gibt, sondern einzig und allein das gesprochene Wort gilt. Und davon sollte es in den zwei Stunden mehr als genug geben.
Viel wurde an diesem Abend über Kirche, Glaubenskrise, innerkirchliche Konflikte, Bischöfe und das Amtsverständnis derselben gesprochen und diskutiert. Judith Könemann, Professorin an der Universität in Münster begann den Reigen mit der provokanten Frage, wie viel Verantwortung sich die Mitglieder der Kirche selber zutrauen? Wenn in der Moderne, so ihre These, nicht mehr die Kirche über das Leben entscheidet, sondern die Menschen selbst, müssen diese sich der Verantwortung stellen. Andererseits stellt es die Kirche vor eine völlig neue Herausforderung in ihrer Geschichte, „muss heute überzeugen, will sie für die Menschen attraktiv sein“.
Leichter gesagt als getan und so darf man ihrer Ansicht nach von einer „Kirchenkrise“ sprechen.
Die Moderne lässt sich nicht aufhalten, Pluralisierung und Individualisierung sind bestimmende Element des menschlichen Lebens geworden. Die Menschen entscheiden heute selbst, ob sie am kirchlichen Leben teilnehmen oder sich abwenden. Der Missbrauchsskandal 2010 war der „Tropfen, der das Fass zum überlaufen brachte“ mit fatalen Folgen für die katholische Kirche.
Die Kirche steht unter Strom, einerseits braucht sie eine „Gestalt“ und darf doch nicht ihr ureigenes aufgeben. „Glaube gibt es nicht ohne Struktur“, so die prägnante Formel der Professorin aus Münster und die Auseinandersetzung der Kirche mit der Moderne eine längst fällige Aufgabe.
Vielen Menschen mag dieses ambivalente Verhältnis der Kirche zur Moderne gar nicht offenkundig sein und doch verbirgt sich dahinter der eigentliche Sprengstoff zwischen Laien und Priestern sowie Theologen und Bischöfen.
„Wir brauchen eine Balance zwischen Glaubensgemeinschaft und Institution“, so Könemann. In die gleiche Kerbe schlug Saskia Wendel, Professorin aus Köln. Aus theologischer Perspektive und doch für jeden verständlich erklärte sie, dass das Theologenmemorandum aus dem Geist einer „Theologie der Freiheit“ entwickelt wurde. Pikant dabei, dass just Kardinal Kasper in früheren Zeiten diesem theologischen Entwurf zustimmte und nun eine hundertachtziggrad Kehrtwende vollzog. Die Kirche sei nun gerade nicht von Menschen gemacht, habe eine „sakramentale Gestalt, ist Zeichen und Werkzeug der Freiheit“ erklärte Wendel den Zuhörern.
Theologen erklären Zusammenhänge gerne in wenn – dann Konstellationen. Wenn also die Kirche Zeichen und Werkzeug der Freiheit ist, dann wären strukturelle Veränderungen möglich. Dann sind bestehende Strukturen nicht für Jahrhunderte in Stein gemeißelt, sondern ganz im Gegenteil, muss immer wieder neu gefragt werden, wie Kirche heute als Zeichen und Werkzeug der Freiheit dargestellt werden kann. Spätestens hier beantwortete sich die Frage nach der Veränderbarkeit der Kirche von selbst, es sei ihre Aufgabe, sich mit der Moderne und deren Folgen auseinanderzusetzen.
Freiheit und Gerechtigkeit seien die bestimmenden Prinzipien im Memorandum. Die Freiheit gehöre zum Wesen des Menschen und durchziehe die sechs Herausforderungen.
Der Moderator Dr. Lothar Moschner stellte für das Podium zwei weitere Gäste aus den ND-Gruppen in Heilig Kreuz vor, Cläre Hillermann und Professor Dr. Laurenz Göllmann. Sie fragten, wie der Spagat zwischen Erneuerung und Tradition gelingen kann? Oder: Hat die Konstanz von Kirche nicht auch positive Seiten? Aber auch die Frage nach dem Amtsverständnis stellten beide.
„Das was ich hier tue, darf ich eigentlich nicht“, erklärte Wendel den verdutzten Zuhörern mit einem breiten Lächeln auf die Frage, wie die Bischöfe zum Memorandum stünden.
Beide Professorinnen bestätigten, dass die Diskussion um das Theologenmemorandum bei den Bischöfen sehr unterschiedliche Reaktionen ausgelöst hätten. Jene, die es ablehnten und öffentlich bekanntgaben und es gab welche, die den Dialogprozess anstoßen möchten, es aber nur leise sagten.
War bis dahin die Veranstaltung sehr harmonisch verlaufen, sorgten einige Schärfen nun für Zündstoff. So forderten die Professorinnen auch die Zuhörer auf, die Rolle des Schafes, welches auf den Hirten wartet, zu verlasen. Auch sollten die Gläubigen doch nicht immer darauf warten, bis Pfarrer und Bischöfe ihnen einen Auftrag geben, sondern selbst aktiv werden. „So war es und so wird es immer sein“, seien für den Dialog kontraproduktiv. Ein Dialog kann nur dann zustande kommen, wenn zumindest über alle Themen gesprochen werden kann und der Dialog setzt voraus, dass beide miteinander reden wollen.
Gefragt wie die Kirche in 20 oder 50 Jahren aussehen würde, skizzierte Judith Könemann mehrere Szenarien. Eine Möglichkeit sei die Spaltung der Kirchen. Ein anderes Szenario wäre eine „Kirche der Entschiedenen“, mit der Folge eines schleichenden Auszugs, weil viele Menschen diesen Weg nicht mitgehen und sich ins Private zurückziehen.
Der Erfolg hängt davon ab, ob es gelingt, den Dialog so zu führen, dass die Kraft des Arguments zählt und nicht die bischöfliche Macht.
Die Bischöfe werden sich fragen lassen, ob ihnen nicht zusehends die Bodenhaftung abhanden kommt. Denn was nützt der Hirte, wenn es keine Schafherde mehr gibt.